Paul Hübner + Christoph Macha

Paul Hübner erlernte sein Handwerk bei Malte Burba und Mike Svoboda. Als Trompeter, Komponist, Improvisator und Performer widmet er sich in besonderem Maße neuer und experimenteller Musi. Er spielte unter anderem mit dem Symphonieorchester des BR, dem Ensemble Modern, dem oh-ton Ensemble, Ensemble Phoenix und l'art pour l'art, sowie in seinen eigenen Formationen windenergie und MAM.manufaktur für aktuelle Musik. 
Zu seiner Arbeit gehört auch das intensive Zusammenwirken mit Komponisten seiner Generation zur Realisation neuer Werke für ein umfangreiches (Blechblas-)Instrumentarium und das Erkunden neuer Konzepte in eigenen Kompositionen und Improvisationen, wovon zahlreiche Ur- und Erstaufführungen künden.
Paul Hübner ist Preisträger verschiedener nationaler und internationaler Wettbewerbe, darunter beim Internationalen Wettbewerb für zeitgenössische Kammermusik in Krakau und bei den Stockhausen-Kursen in Kürten, und Stipendiat der Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz (ZIRP) 2008.
Christoph Macha (Jahrgang 1986) studiert Dramaturgie an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig. Bereits kurz nach dem Abitur arbeitete er als Dramaturgie- und Regieassistent am Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen und am Hans Otto Theater Potsdam. Seit 2010 ist Christoph Macha als Dramaturg am Jungen Staatstheater Braunschweig beschäftigt.


Mehr zu Paul Hübners und Christoph Machas Installation und ihren Vorstellungen im Interview:

Wie seid Ihr auf das Projekt „Interface“ gestoßen. Was ist eure Motivation, an dieser Idee teilzuhaben?
CM: „Interface“ bietet die Möglichkeit, konzentriert und mit einem finanziellen und technischen Support Projekte aus zu probieren, hier geht es noch nicht um den ganz großen Wurf. Das Arbeitsstipendium von einer Woche erlaubt, Dinge auszuprobieren. Das ist eine wunderbare Gelegenheit.

Glaubt Ihr, dass sich die Gesellschaft über den derzeitig herrschenden Voyeurismus und das Phänomen „gläserne Mensch“ bzw. das „gläserne Leben“ bewusst ist?
CM: Natürlich, schlag einfach die Zeitung am Morgen auf, kaum eine Ausgabe ohne Bericht über Facebook und wie man am besten aussteigen kann. Gleichzeitig sprechen wir über totale Überwachung und wollen das nicht, dann kaufen wir aber doch das iPhone und spielen das Spiel mit. Es ist ja fast eine Art Sport geworden, darüber zu schimpfen und mitzumachen. Wir sind uns sehr bewusst, dass unser Leben jetzt ganz öffentlich ist, aber wir wissen auch wie wir es steuern können.

Findet Ihr, dass das totale „Panoptikum“ im Zeitalter von Facebook und Co. überhaupt noch als eine Bedrohung wahrgenommen wird? Soll eure Installationen möglicherweise sogar als eine Art Weckruf dienen?
PH: Weckrufe sind nicht meine Sache, ich sehe mich nicht gerade als den großen Rufer in der einsamen Wüste. Mich interessieren auch eher die kleinen Dinge als Kunst mit Erhabenheitsfaktor. Was ich mache, sehe ich eher als Kommentar zu dem, was mich tagtäglich umgibt.
CM: Ein Weckruf ist es nicht, es ist eine Zustandsbeschreibung. Kunst soll sich immer mit Alltag, der Gesellschaft beschäftigen. Die Installation soll nicht wecken, nicht aufrütteln; sie soll beschreiben und Dinge erlebbar machen. Vielleicht Hinweise geben, den Blick verändern. Aber ein Wecker ist sie nicht.

Hat ihr Projekt „abhören“ eine eindeutige Intention? Oder geht es vielmehr um eine reine und neutrale Beleuchtung eines gesellschaftlichen Zustandes?
PH: Mich interessiert eher eine vordergründige Intentionslosigkeit, oder Intentionen, die sich vielleicht erst beim zweiten Hören und Anschauen ergeben – bei denen man nicht so genau weiß, ob das jetzt Absicht oder Zufall ist. Manchmal ergänzen wir im Kopf beim Zuschauen dann verschiedene Stränge zu einem narrativen Zusammenhang, das gefällt mir dann, weil ich das beim Konzipieren so vielleicht gar nicht beabsichtigt habe.
CM: Eindeutigkeit gibt es nicht, unsere Welt und Gesellschaft differenziert sich täglich neu aus, wir haben keine Peer-Groups mehr, wir sind Individuen und machen das, was Kant schon immer wollte, wir leben nach unseren eigenen Regeln … Natürlich hat unsere Arbeit mit der Gesellschaft zu tun, sonst wäre sie ja nur Kunst um den Kunst Willens, also wäre sie wieder keine Kunst, wie es Boris Groys sagt. Nein, wir wollen damit schon am Puls sein. 

Ist Voyeurismus und das Phänomen „gläsernes Leben“ eurer Meinung nach ein aktuelles Phänomen, welches durch die Medien geboren wurde? Oder vertiefen bzw. bauen die neuen Medien lediglich ein Bedürfnis aus, welches grundsätzlich immer im Menschen verankert war?
PH: Das ist ein wenig das, dem wir versuchen, in der Arbeit auf den Grund zu gehen. Einerseits beklagt man sich ständig über den Verlust von Privatsphäre, aber so ganz möchte man ja auch nicht darauf verzichten, zu wissen, was hinter geschlossenen Vorhängen so vor sich geht. Damit gehen dann oft auch völlig neue Qualitäten einher – siehe Wikileaks (obwohl es manchmal scheint, dass trotz aller Offenheit heute die Mehrheit eigentlich gar nicht mehr weiß, was eigentlich so in der Welt passiert). Diesen Drang zum Spitzeln gibt es aber ganz offensichtlich in jedem von uns – sonst hätte man in der Vergangenheit nicht ganze Staatssysteme darauf aufbauen können.
CM: Die Neugier wohnt uns doch schon immer inne, sonst hätten wir ja kein Theater. In Griechenland tanzen sie dionysisch, haben sich zum Löffel gemacht und einige tanzten nicht mehr, haben zugesehen; also war das Theater da und die Welt funktioniert halt so, dass wir zuschauen und beobachtet werden. In den Zeiten von Smartphones, Pagern und Facebook geht das noch besser. Im Theater sitzen sich noch zwei Körper gegenüber, im Kino nur eine matte Projektion dem Körper; das Internet 2.0 macht es auch ohne Körper.

Der Besucher eurer Installation besitzt die Macht. Es herrscht eine akustische Asymmetrie. Was erwarten Sie, welche Gefühle und Gedanken den Abhörenden beschäftigen werden, während er einen der Apparate benutzt?
CM: Den Weg muss jeder selbst gehen, das wollen wir nicht bestimmen. Es wäre auch schön, wenn Leute gar nichts tun und beobachten. Die Regeln für die Installation und den Umgang damit machen wir nicht. Wir bieten seinen Setzkasten von Ideen und jeder darf sich selbst seine Meinung denken.
PH: In der Installation geht es zum einen um eine inhaltliche Ebene, die in einer Art Hörspielkomposition verwirklicht ist. Um zu dieser Ebene vorzudringen, muss der Hörer aber einiges auf sich nehmen, es reicht nicht, einfach die Playtaste am Kassettenrecorder zu drücken. Um diese Mühen, die eben auch mit dem Abhören verbunden sein können, geht es hier auch.

Werden sich die Besucher des FFT möglicherweise aufgrund des Bewusstseins, ständig akustisch überwacht werden zu können, gänzlich anders verhalten und sich im Grunde letztendlich selbst überwachen?
CM: Das müssen wir probieren, letztendlich bleibt das Foyer Foyer und wird so wahrgenommen, es ist so gebaut. Aber jeder kann es sich um definieren.

Wie erlebt ihr eure Aufgabe als Performance-Künstler? Ist da ein inneres Gefühl der Berufung, Menschen auf gewisse Zustände und Entwicklungen aufmerksam zu machen? Ist die Bewusstwerdung des Rezipienten eine Intention oder geht es in erster Linie um die künstlerische Umsetzung diverser Beobachtungen und Gedanken? Was ist euer Antrieb?
PH: Ich definiere mich nicht unbedingt als Performance-Künstler im klassischen Sinne, dass ich mich jetzt selbst auf die Bühne bringe und meine Mitwelt an meinem Problem teilhaben lasse. Das kann hin und wieder ganz erfrischend sein, ich brauch das aber nicht unbedingt. Für mich geht es eher um die Umsetzung von Einfällen – da gibt es etwas, was mich interessiert, also beschäftige ich mich näher damit. Oder ich möchte gerne etwas sehen oder hören, was es so aber noch nicht gibt – ich muss das also selber machen.
CM: Die Neugier und Lust auf heutige Themen, wir sind Zeitgenossen und pflegen Zeitgenossenschaft, also können wir nicht immer nur Barock hören und spielen. Wir leben im Hier und Heute, deshalb machen wir für Hier und Heute Kunst, anders geht es doch gar nicht.

Die Medien lassen die Menschen immer mehr zu passiven Empfängern werden. Viele Menschen gestalten ihr Leben in erster Linie, indem sie anderen Menschen zuschauen, wie sie etwas erleben und erfahren. Kein subjektives Handeln und Erleben (TV). Stellt die Performance-Kunst, die den Besucher aktiv einbindet ein passendes Gegengewicht dar?
PH: Interaktivität ist nicht gerade das, wonach ich mich sehne. Nichts ist unangenehmer, als im Theater zu sitzen, und dann vielleicht mitmachen zu müssen. Das ist in den meisten Fällen ziemlich dilettantisch. „Die Kunst war viel populärer als ihr noch keine Künstler wart“, hieß es letztens bei René Pollesch.
CM: Interaktion ist tot, jetzt kommt die Interpassivität. Folgt man Robert Pfaller, dann brauchen wir keine Filme mehr zu sehen, denn unser Videorecorder hat den Film aufgezeichnet und für uns geguckt. – Interaktion ist schon immer Teil von Theater und performativen Abspaltungen, ohne Zuschauer geht es nicht. Also ist Interaktion ja ein Quatsch-Wort. Ein Gegenspiel ist es nicht, wir können doch überall mitmachen und anrufen, ganze TV-Sender funktionieren ja so.
PH: In unserer Installation gibt es beides. Zum einen Prozesse, die ganz eigenständig funktionieren, da bräuchte es dann eigentlich gar keinen Rezipienten, zum anderen aber auch Bausteine, die erst in Gang gesetzt werden müssen. Der Hörer muss sich da also sozusagen in den Kreislauf einschalten.

Die Weiterentwicklung der Kunst zu einem Prozess, der den Besucher aktiv mit einbindet – wird das auf Dauer gesellschaftliche Folgen haben?
PH: Hoffentlich nicht. Wie gesagt, Interaktionskunst ist unsere Sache nicht. Das war eine Mode der Neunziger, die auch ganz hübsche Beispiele hervorgebracht hat – zu einem Dogma ist sie glücklicherweise nicht geworden.

Hat Performance-Kunst die Aufgabe, Menschen aus ihrer Passivität zu befreien?
CM: Die Frage ist doch, was Passivität ist? Dafür müssten die Leute schon tot sein, aber selbst Leichen sind ja noch sehr aktiv, die zerfallen ja und machen etwas. Also müssen wir niemanden befreien, wir regen nur an zu denken, vielleicht in bisher unbekannte Richtungen.

Wer kommt zu Performance-Kunst-Ausstellungen? Sind das nicht eher Menschen, die generell sowieso eine größere Bereitschaft mitbringen sich mit diversen Themen aktiv auseinanderzusetzen?
CM: Das FFT ist ein Theater, also wird auch ein Theaterpublikum kommen. Ins Kino geht ja auch nur eine bestimmte Gruppe. – Theater für alle und Kunst für alle ist super, aber funktioniert doch nicht. Hat doch noch nie funktioniert … Aber schön wäre es trotzdem.
PH: Da sehe ich ein Problem in der Selbstreferentialität vieler Kunst. Oft hat sie nichts mehr mit dem Hier und Jetzt zu tun, dann muss man sich auch nicht wundern, wenn keiner zuschaut.

Wie könnte sich Performance-Kunst zukünftig gestalten, um ein breiteres Publikum zu erreichen?
CM: Sie kann sich nicht ändern, es ist Kunst und nicht alle Menschen brauchen Kunst und wollen sie haben, außer wir machen alle nur noch Musicals, aber das wollen ja auch nicht alle.
PH: Es gibt da sicher verzichtbare Dinge, die entweder den Anspruch auf Neues oder gesellschaftliche Relevanz völlig aufgegeben haben – wenn man da ansetzt, kann man bestimmt mehr Menschen dafür interessieren. Insgesamt finde ich es aber auch nicht schlimm, wenn man damit keine Stadien füllen kann. Je mehr Leute man damit zufriedenstellen will, desto kleiner muss der gemeinsame Nenner sein, und das wird schnell uninteressant.

Wo kam der Antrieb her, sich als Musiker Performance-Kunst zu widmen?
PH: Wie gesagt, ich performe mich jetzt nicht selbst – der Antrieb liegt einfach darin, Dinge zu tun, die mich interessieren, und die es noch nicht gibt. Gäbe es das schon, müsste ich das ja nicht selbst machen.
CM: Nur Noten abspielen, ist ziemlich öde und wenn wir eben etwas ändern wollen, dann geht das nicht im Graben mit Frack und Strauss-Noten unter der Leitung von Christian Thielemann. Das ist alles schön, aber doch Museum.

Wir danken für das Gespräch


Tanja Kleist und Moritz Rosenthal